Ötztaler 2022 - Nicht ganz wie geplant
- marcelgertsch
- 15. Feb. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Feb. 2024
Es sollte ein Wochenende voller Adrenalin und Herausforderungen werden, doch manchmal nehmen die Dinge eine unerwartete Wendung. Mit meiner Frau und meiner Tochter begab ich mich am Freitagabend auf den Weg zum Ötztaler Radmarathon 2022.
Am Samstag vor dem Rennen wollte ich es ruhig angehen lassen - ein wenig einfahren, um die Beine zu lockern und mich auf den folgenden Tag vorzubereiten. Doch nach einer kurzen Ausfahrt bemerkte ich besorgt, dass meine hintere Felge merkwürdige Blasen aufwies. Beim Abholen meiner Startnummer beschloss ich daher, den DT Swiss Stand auf der Messe am Startgelände zu besuchen. Die Antwort, die ich erhielt, war leider wenig ermutigend. Der Schaden an der Felge erfolgte auf beim Transport. Das Rad war auf dem Heckträger befördert worden, und die heissen Abgase hatten der Carbonfelge offensichtlich geschadet. Die Empfehlung der DT Swiss Crew war eindeutig - mit dieser Felge sollte nicht mehr gefahren werden.
Glücklicherweise boten sie mir grosszügig an, ein Ersatzrad auszuleihen. Es handelte sich um eine neue Felge aus der High-End-Serie ERC 1100. Glück im Unglück, dachte ich mir, und nach einer erfolgreichen Testfahrt kehrte ich ins Hotel zurück. Unsere Wahl fiel auf das Hotel Bergland - kulinarisch und schlaftechnisch ein Volltreffer, und dazu noch in unmittelbarer Nähe zum Start gelegen.
Nach einem stärkenden Abendessen mit meiner Familie war es Zeit, früh ins Bett zu gehen. Schliesslich stand ein früher Start bevor.
Am Renntag stand ich bereits um 4:30 Uhr auf. Mein Ziel war es, ohne Hektik und gut verpflegt an den Start zu gehen. Das Frühstücksbuffet war reichhaltig und mehrere Mitstreiter waren bereits anwesend. Gestärkt kehrte ich zurück ins Zimmer, um mich fertig zu machen. Mein Rad hatte ich aus Sicherheitsgründen im Zimmer gelassen - eine Empfehlung, bedingt durch die Diebstähle der letzten Jahre.
Während meine Frau und meine Tochter noch schliefen, nahm ich leise das Rad und wollte das Zimmer verlassen. Doch was ich dabei entdeckte, gefiel mir gar nicht, ein Platten am Hinterrad. Nun ja, dachte ich mir, ich habe ja noch genügend Zeit - das ist ja keine grosse Sache, zumindest dachte ich das. Also nahm ich Rad und Werkzeug mit ins Badezimmer, um möglichst geräuscharm das Problem zu beheben. Schlauch raus, neuer rein und aufpumpen - ein lauter Knall und der Schlauch verabschiedete sich. Offenbar hatte ich in der Hektik den Schlauch eingeklemmt. Ein neuer Versuch, wieder ein Knall. Verdammt, was ist da los? Nochmals ein neuer Schlauch, wieder das gleiche laute Resultat. Ich wurde langsam nervös, und durch die Geräuschkulisse wurde auch meine Frau wach und fragte, was los sei.
Auch der nächste Versuch ging mit einem lauten Knall schief. Es blieb nur noch ein Schlauch übrig - der Ersatzschlauch in der Satteltasche. Ich bat meine Frau, im Sportladen welcher sich im Hotel befand nachzusehen, ob dieser geöffnet sei. Der Versuch mit dem Schlauch aus der Satteltasche endete mit dem gleichen Resultat wie seine Vorgänger. Meine Frau teilte mir mit, dass der Laden geöffnet sei. Ich schnappte das Rad inklusive ausgebautem Hinterrad und nichts wie hin.
Der Mechaniker wartete bereits und ich erläuterte ihm die Situation. Seinem Lächeln nach zu urteilen, dachte er wohl, dass ich es einfach nicht hinbekomme. Er wechselte den Schlauch, und erneut ein Knall. Auch ein zweiter Versuch scheiterte. Die Zeit bis zum Start wurde knapp, und ich wurde immer nervöser. Ich fragte, ob er ein Ersatzrad hätte. Er ging ins Lager und kam zurück, doch leider war die Bremsscheibe nicht kompatibel mit meiner (160 mm anstatt 140 mm) und ein Wechsel der Bremsscheibe war aufgrund der Befestigungsart (Center Lock vs 6-Loch) nicht möglich.
In diesem Moment hörten wir den Startschuss vom 200 Meter entfernten Start, und die ersten Fahrer rauschten am Laden vorbei. Mir kamen die Tränen. Der Mechaniker meinte nur: "Komm, ein letzter Versuch." Ein neuer Schlauch rein, Luft rein - und prompt funktionierte es. Das Hinterrad eingebaut, hatte ich jedoch keine Chance mehr, rechtzeitig zum offiziellen Start zu gelangen. Doch der Mechaniker kannte das Organisationskomitee und meinte nur: "Reihe dich von hier aus ins Starterfeld ein, und ich organisiere es mit der Zeitmessung."Was für ein Service! Ich begab mich vor den Laden, und los ging es...
Die 30 Kilometer lange Abfahrt nach Ötz war rasant und durch das dichte Starterfeld nicht ungefährlich. Ich fuhr konzentriert und defensiv und war erleichtert, als dieser Teil der Strecke hinter mir lag, denn ich passierte zwei übel aussehende Unfallstellen, was mir noch einmal die Wichtigkeit der Vorsicht vor Augen führte.
In Ötz angekommen, ging es sogleich hinauf aufs Kühtai auf 2017 Meter. Der Anstieg von 17,6 Kilometern mit 1237 Höhenmetern und einer durchschnittlichen Steigung von 7,0 Prozent hatte ich, bis auf zwei einzulegende Biopausen, planmässig bewältigt. Oben angekommen, war ich dankbar für die reichhaltige Verpflegungsstation, die mir die Möglichkeit gab, mich zu stärken und für die kommenden Herausforderungen vorzubereiten.
Ab auf die rasante Abfahrt in Richtung Innsbruck. Doch aufgrund einer Baustelle gab es eine Umleitung von etwa 6 Kilometern und eine zusätzliche Steigung mit 300 Höhenmetern. Das hiess, noch einmal den Berg hinauf und nicht durchgehend die Highspeed-Abfahrt mit Spitzengeschwindigkeiten von über 100 km/h geniessen zu können. Egal, weiter nach Innsbruck, aber nicht zu hart den Anstieg fahren. Es galt, in einer guten Gruppe unterzukommen.
Leider war die Gruppe, in der ich Unterschlupf fand, für mein Empfinden nicht optimal unterwegs - zu langsam. Doch ich hatte zu grossen Respekt davor, vor den noch zu bewältigenden Anstiegen und die Gefahr im Wind zu verhungern. So fuhr ich diszipliniert in der Gruppe bis zur Labestation auf dem Brenner. Ich fühlte mich nach wie vor gut und stürzte mich in die Abfahrt Richtung Sterzingen.
Der zweitletzte Anstieg zum Jaufenpass mit 15 Kilometern und 1146 Höhenmetern stand bevor. Meine Beine waren nach wie vor gut, und ich beschloss, das Tempo ein wenig anzuziehen. So überholte ich kontinuierlich Mitstreiter, was zusätzlich motivierte. "Das läuft gut", dachte ich, bis ich plötzlich das bekannte Geräusch vom Morgen vernahm - Platten am Hinterrad. Ersatzschläuche hatte ich nicht dabei, die waren beim morgendlichen Desaster alle draufgegangen.
Ich hatte Glück im Unglück, ein Servicewagen kam kurze Zeit später angefahren. Nach einem ersten Versuch mit Knalleffekt vermutete der Servicemann, dass der 25-mm-Reifen nicht optimal mit der Felge harmonierte und montierte einen 28-mm-Reifen. Aufgepumpt und - es hielt, und ich konnte weiterfahren. Mit Wut im Bauch ging ich den letzten Teil des Anstiegs ein wenig über dem Limit an. Trotzdem hatte ich nach wie vor gute Beine und verpflegte mich nochmals ausreichend an der Labestation.
Die technische Abfahrt hinunter nach St. Leonhard machte Spass und weiter ging es. Die letzte Hürde, das Timmelsjoch mit 2474 Metern Höhe, 29 Kilometern Länge und 1821 Höhenmetern, stand bevor. Ich konnte nochmals fleissig Mitstreiter überholen, bis etwa zur Hälfte - ein Knall, wieder ein Platten am Hinterrad. Frustriert baute ich das Hinterrad aus und sah zu, wie einer nach dem anderen an mir vorbeizog.
Nach etwa 5 Minuten hielt ein Teilnehmer an und bot seine Hilfe bzw. seinen Ersatzschlauch an. Es stellte sich heraus, dass der Helfer nicht am Ötztaler teilnahm, sondern die Chance nutzte, die autofreie Anfahrt zu geniessen. Der Schlauchwechsel klappte, und es konnte weitergehen.
An der Labestation vor dem letzten Teil des Anstieges hielt ich am Servicepoint an, schilderte meine Reifendesaster und liess das Rad überprüfen. Luft raus, Luft rein, und es schien alles gut zu sein. Ich hoffte, dass der Rest nun pannenfrei zu bewältigen sei.
Der letzte Teil des Timmelsjochs hatte es in sich, und der einsetzende Regen machte es nicht einfacher. Die letzten Kräfte mobilisierend, erreichte ich die Kurve mit den bekannten Radtrikots und ich wusste, es war beinahe geschafft. Mit einem Hochgefühl, es geschafft zu haben, ging es durch den Tunnel und bald darauf erreichte ich die Mautstelle - ab nun ging es nur noch bergab.
Die nasse Strasse und das fehlende Vertrauen ins Material liessen mich die Abfahrt gemächlich angehen. Pannenfrei erreichte ich Sölden, und die zahlreichen Zuschauer peitschten mich Richtung Ziel.

Die Zieleinfahrt nach 10:22 Stunden war ein wenig frustrierend, so hatten mich die beiden Pannen rund eine Stunde gekostet. Vermutlich wäre die vorgenommene Zeit von 9:20 Stunden gut drin gewesen. Die Vorbereitung mit den 7000 Trainingskilometern hätte gepasst - aber eben hätte hätte Fahrradkette.
Nach der Zieleinfahrt brachte ich das Ersatzrad zu DT Swiss zurück. In Ruhe begutachteten wir das Rad, und nachdem der Reifen entfernt wurde, wurde der Grund erkannt - das Felgenband hatte drei Löcher. Der DT Swiss Mitarbeiter konnte sich das nicht erklären, und es war ihm sehr unangenehm. Nicht auszudenken, wenn der Reifenplatzer in einer Hochgeschwindigkeitsabfahrt passiert wäre.
Trotz alledem, der Ötztaler ist ein cooler Event. Die abgesperrte Strecke und die Top Organisation lassen Tour-de-France Stimmung aufkommen. Ich kann jedem passionierten Gümmeler die Teilnahme nur empfehlen.
Comments